HOME: 3sky.de |
|
Über die leuchtenden Nachtwolken wird relativ regelmäßig auch in astronomischen Zeitschriften berichtet [z.B. 1,2,3]. Sie sind zwar kein astronomisches Phänomen, doch treffen sie gerne das Auge des nächtlichen Himmelsbeobachters. Es handelt sich um faszinierende Wolkenerscheinungen im Bereich der sommerlichen Mesosphäre / Mesopause in durchschnittlich 83 km über Grund. Insbesondere lassen sie sich mit Glück etwa von Norddeutschland aus während der Zeiten der Mitternachtsdämmerung etwa im Sektor NW-NE beobachten. Im Englischen wird der Begriff Noctilucent Clouds (NLC) verwendet. Mitunter tritt noch ein weiterer Begriff auf: Polar Mesospheric Clouds (PMC). Im Wesentlichen sind PMC die gleichen Erscheinungen wie NLC – allerdings vom All aus betrachtet (quasi “NLC von oben her” beobachtet). Es gibt aber auch Forscher, welche den Begriff PMC ganz allgemein verwenden.
In diesem Beitrag gilt es, die Möglichkeit zu prüfen, ob Internet-Echtzeit-Daten von Meßstationen eine Hilfe in der Beobachtungsplanung sein können. Bereits in den Jahren 2001 und 2002 sind von einem der Autoren (O. Squarra) einige Echtzeitdaten sporadisch unter die Lupe genommen worden. Es fanden sich aktuelle Lidar- und Radarmessungen im Internet. Mit einem Lidar (LIght Detection And Ranging) können NLC direkt detektiert werden. Zu berücksichtigen ist, daß mit einem Lidar gemessene NLC noch nicht zwangsläufig mit bloßem Auge erkennbar sind, da die Größe und Dichte der Partikel dafür noch zu gering sein kann. Für eine visuelle Beobachtung vom Boden aus, sollten die Radien der Eisteilchen größer als ca. 20 nm sein. Von besonderem Interesse sind auch VHF (Very High Frequency)-Radare [z.B. namens ALWIN in Andenes und OSWIN in Kühlungsborn]. Diese sind in den Sommermonaten in der Lage, Echos aus einem Höhenbereich von etwa 82 bis 90 km zu empfangen. Polare Mesosphärische Sommer Echos (PMSE) und NLC werden häufig (aber nicht immer!) gleichzeitig und in gleicher Höhe beobachtet, wobei die Messverfahren (Radar und Lidar) und die jeweiligen Rückstreumechanismen unterschiedlich sind. Bezüglich technischer Einzelheiten und Informationen zu den Forschungsstandorten möchten wir auf das Leibniz-Institut für Atmosphärenphysik e.V. (IAP) und deren Website verweisen [4]. Das IAP ist eine führende Institution in Sachen NLC- und PMSE- bzw. MSE-Forschung mit Sitz in Kühlungsborn an der Ostsee. PMSE treten nur im Sommer und nur in der Nähe der sehr kalten Mesopause mit Temperaturen unterhalb von 150 K auf. Deshalb wurde schon früh vermutet, daß sie im Zusammenhang mit Eisteilchen stehen, die sich in der höheren Atmosphäre nur dort bilden können. Trotz der engen Zusammenhänge ist das Vorhandensein von (P)MSE nicht direkt mit der Existenz von NLC gleichzusetzen. Der mittlere PMSE Tagesgang ist in Andenes / Norwegen durch eine vorherrschende, halbtägige Variation mit Maxima um Mittag und Mitternacht geprägt. Neben dem Einfluß tageszeitlicher Wind- und Temperaturänderungen haben bezüglich der Radarechos auch solare und geomagnetische Aktivität einen wichtigen Einfluss auf die Häufigkeit der PMSE. So ist z.B. das mittlere mitternächtliche PMSE-Maximum wesentlich auf die Ionisationszunahme infolge einfließender Teilchen zurückzuführen. Erstmals
für die NLC-Saison
2003 wurden einige Echtzeitdaten-Links
zusammengestellt [5].
Die Hoffnung war, interessierten Amateuren eine
Abschätzung zu ermöglichen,
ob es sich z.B. lohnt, in unseren hellen und späten
Sommerzeitnächten
noch weiterhin nach NLC Ausschau zu halten, oder
doch lieber das Bett aufzusuchen...
Welche Echtzeitdaten stehen uns unter anderem online zur Verfügung? -
MSE-Beobachtungen durch
das VHF Radar [OSWIN] in Kühlungsborn 54°N / 12°E
*ALOMAR
= Arctic Lidar Observatory for Middle Atmosphere
Research; Forschungseinrichtung
in Norwegen unter Teilnahme wissenschaftlicher
Gruppen aus sechs Nationen
Ein Lidar kann im Höhenbereich der NLC nur arbeiten, wenn keine tieferen Wolkenschichten stören. Das RMR Lidar in Andenes auf Andøya ist somit leider wetterabhängig. Dem IAP in Kühlungsborn stehen auch Lidargeräte zur Verfügung, aber es werden keine Daten online veröffentlicht. Die oben genannten VHF-Radare werden durch gewöhnliche Wolken nicht gestört. Interessant ist, daß ALWIN und OSWIN in geringem Maße auch von der Vertikalen abweichend eingestellt messen können. Das erwähnte RMR Lidar hat die Möglichkeit bis zu 30° abweichend von der Vertikalen zu messen. Aufgrund der allgemeinen atmosphärischen Gegebenheiten gilt es zu bedenken, daß z.B. das VHF-Radar ALWIN hoch oben bei 69° nördlicher Breite öfter Echos registriert, als das VHF-Radar OSWIN in Kühlungsborn. Sollten ALWIN-Echos dann in Verbindung mit NLC stehen, kann es natürlich sein, daß wir in unseren Breiten trotzdem nichts sehen, da die NLC eventuell noch unter unserem Horizont liegen... Damit eine
Vorstellung aufkommt,
wie die Graphiken der Online-Daten aussehen können,
wenn es interessant
wird, dürfen mit freundlicher Genehmigung des IAP
einige Graphiken
wiedergegeben werden (man beachte auch die
jeweiligen Intensitätsskalen
neben den Radarbildern). Siehe Abb. 1
und 2 (Radar),
Abb.
3
(Lidar). Wir möchten dabei ausdrücklich darauf
hinweisen, das
die Echtzeitdaten nur informellen Charakter haben!
Vor weitergehender Nutzung
sind die jeweiligen Herausgeber zu kontaktieren.
Konnten bereits Zusammenhänge erkannt werden? Aufgrund der Erdkrümmung können, wie oben erwähnt, mögliche NLC über ALOMAR (dem Standort von ALWIN und dem RMR Lidar) von unseren Breiten aus nicht erkannt werden, sofern sie nicht auch eine erhebliche Ausdehnung nach Süden haben. Das gilt ebenso für das Radar am Standort Kiruna. Das SOUSY-Radar auf Spitzbergen bietet für unsere Zwecke die geringste Aussagekraft. Die Vermutung, daß mit den PMSE in Zusammenhang stehende und von Norddeutschland aus sichtbare NLC, eine kompakte Ausdehnung durchgehend vom Pol her haben, sieht sich anhand verglichener Daten nicht zwingend bestätigt. Es ist nicht generell so, daß von unseren Breiten aus sichtbare NLC gleichzeitig vorhandene, räumlich stark ausgedehnte PMSE im hohen Norden nach sich ziehen. Vom Radar in Esrange / Kiruna liegen z.B. auch Archivdaten zurückliegender Jahre online vor [6]. Der Vergleich von PMSE-Daten mit einigen wenigen von uns beobachteten, älteren NLC-Daten aus Norddeutschland zeigt noch keine zwingende Korrelation, aber wohl Gemeinsamkeiten! Aus der letztjährigen Saison würden sich starke PMSE über Kiruna in der Nacht vom 12. zum 13.07.2003 allerdings gut in die markanten deutschen NLC-Beobachtungen des Abends einfügen lassen. Isoliertes Entstehen von NLC ist durchaus möglich, wenn auch direkt auf unseren Breiten eher gering. Nach dem Prinzip der Perlmutterwolken [7] können Schwerewellen auch in der Mesosphäre für die nötige (lokale) Abkühlung sorgen, welche für die Bildung von NLC notwendig ist. So werden mitunter an den oben genannten skandinavischen Standorten keine NLC und PMSE festgestellt, während NLC-Sichtungen von unseren Breiten aus erfolgen. Es können also durchaus „große Löcher“ zwischen einer polaren mesosphärischen Wolkenkappe und bei uns sichtbaren NLC existieren. Weiterhin
besteht folgende
Möglichkeit: In hohen Breiten entstandene NLC,
welche mit gleichzeitig
gemessenen PMSE in Zusammenhang stehen, driften
südwärts. Über
dem Ursprungsort werden dann nach einiger Zeit keine
PMSE mehr registriert,
aber die isolierten, verdrifteten und
weiterentwickelten NLC erscheinen
bei uns über dem Horizont, ohne daß wir einen
zeitgleichen Zusammenhang
erkennen können. Zu beachten ist aber, daß die
Lebensdauer der
NLC nicht unbegrenzt ist (in der Regel bis zu einige
Stunden, in denen
sich starke Veränderungen abzeichnen, welche auf
hohe Geschwindigkeiten
in der Höhe hinweisen).
Damit ist der Nutzen der Daten keinesfalls dahin! 1. Anhand der erstmaligen, kontinuierlichen Verfolgung der Echtzeitdaten in 2003 konnte für uns Amateure die bekannte saisonale Entwicklung der PMSE (und damit auch die NLC-Saison) direkt zeitlich eingegrenzt werden: Von zarten Echos ab Ende Mai bis hin zu immer stärkeren und manchmal nahezu durchgehenden Echos im Juni und Juli. Im August folgte dann ein deutliches Abflauen. Auch Tagesvariationen von PMSE konnten / können verfolgt werden. 2. Näher an den skandinavischen Stationen liegende Standorte sollten sich die Daten zunutze machen können (sofern es noch ausreichend dunkel werden kann)! NLC in 83 km Höhe, die sich gerade am Horizont zeigen, befinden sich in einer Entfernung von gut 1.000 km [Kasten 1]. Einige Dinge, wie eingeschränkte Horizontalsicht durch Geländemarken oder auch Dunst, sollten jedoch noch berücksichtigt werden. Dann müßte es sich lohnen, ab einer Entfernung von ca. 800 km oder weniger zu einer der Stationen, die Daten zu verfolgen. Diese können dann mit eigenen Beobachtungen abgeglichen werden. 3. OSWIN in Kühlungsborn liegt vor unserer Haustür. Tageszeitlich spätes bzw. frühes Auftreten von MSE wurde im Jahr 2003 (wie auch in anderen Jahren) eher selten von dem Radar registriert. Im NLC-Beobachtungszeitfenster von ca. 21-02 UTC gar nicht. Trotzdem wurden einige wenige Male auch NLC von Deutschland aus gesichtet. Das ist noch kein Widerspruch. Man muß bedenken, daß OSWIN nur in Zenitnähe MSE feststellen kann. Und NLC-Beobachtungen reichen bei uns meist nur bis eine gute Hand breit über den Horizont. Interessant wird es, wenn wir einmal das Glück von sehr späten registrierten OSWIN-Echos haben sollten. Sprich MSE über der Ostseeküste in Höhe 90° über dem Horizont, am besten im NLC-Beobachtungszeitfenster! Das gilt es in Zukunft zu verfolgen. So hohe NLC, welche mit den Radarechos in Zusammenhang stehen könnten, sind in unseren Breiten eine Rarität, aber nicht unbedingt auszuschließen. Das hat die Beobachtung vom 12./13.07.2003 gezeigt, als in noch sehr heller Dämmerung bereits NLC in großer Höhe sichtbar geworden sind (an den Beobachtungsorten Lübeck und Rostock bis mindestens ca. 50° über dem Horizont erkennbar). Immerhin hat es an diesem Abend auch relativ späte MSE-Messungen durch OSWIN gegeben (bis ca. 19:20 UTC). Erstmalig im Jahr 2000 wurden auch nachts MSE beobachtet. Diese ließen sich aber dadurch erklären, daß zu der Zeit (15. Juli) eine starke geomagnetische Störung auftrat (zusätzliche Ionisationsquelle durch das Einfließen von Teilchen). Anzahl der
NLC-Nachweise
durch Lidar in Kühlungsborn (jeweils im Sommer):
Eine
Erwähnung verdient
noch die Anti-Korrelation bezüglich der
NLC-Häufigkeit und der
Sonnenaktivität. Bisherige Auswertungen zeigen auf,
daß zur
Zeit eines Sonnenfleckenmaximums das Auftreten
(insbesondere stärkerer)
NLC geringer ist, als zu Zeiten eines
Sonnenfleckenminimums [u.a. 9].
Hier
ist zusätzlich auch eine ein- bis zweijährige
Verspätungsrate
in der Diskussion.
Wer sich für die Geschichte der leuchtenden Nachtwolken interessiert, dem sei [11] empfohlen. Das Buch enthält u.a. Informationen über den Ausbruch des Vulkan Krakatau im Jahre 1883. Der Hauptteil widmet sich den Arbeiten von Otto Jesse (1838-1901), der sich in besonderem Maße der Erforschung der leuchtenden Nachtwolken gewidmet hat. Insbesondere die Wiedergabe seiner Veröffentlichungen aus diversen naturwissenschaftlichen Schriften erscheint interessant, da man seine ersten Schritte und die Beobachtungen jener Zeit nachempfinden kann. (Teile des Buches sind in englischer Sprache.) Wir danken den Mitarbeitern des IAP, Herrn Dr. FIEDLER und Dr. LATTECK, für ihre freundliche Unterstützung!
Diese Angaben konnten aus einfachen trigonometrischen Rechnungen und dem Dreisatzverfahren ermittelt werden. Zu Grunde gelegt wurden folgende Angaben: Erdradius:
6378 km
(Die Verwendung der Standardäquatorwerte ist ausreichend und hat keine relevanten Auswirkungen auf die Genauigkeit.) Es ergibt
sich u.a. (bezogen
auf den Erdmittelpunkt) ein Winkel von 9,2° zwischen
einem Beobachter
und NLC die gerade am Horizont erkennbar sind. Die
Erde als Kreis betrachtet,
hat einen Umfang von 360°. Daraus ergibt sich die
Entfernung zu den
NLC am Horizont wie folgt:
Von
Beobachtungsorten
auf 54°N im Bereich Lübeck / Rostock liegt somit
der Grenzbereich
der Erkennbarkeit von NLC in:
An diesen
Orten würden
sich die NLC bis in Zenithöhe befinden. Zu den
erwähnten Meßstationen
in Nordskandinavien trennen uns von dort aber
mindestens weitere ca. 700
bis über 1000 km !
Literaturhinweise und Internetadressen: [1]
Frank Kosalla: Leuchtende Nachtwolken, SuW
06/1995, S.477
|
Copyright
©2004-2020 Stephan BRÜGGER / Olaf SQUARRA
Erstellt:
Frühsommer
2004, letzte Änderung: 13.02.2007
Zurück
zum
Seitenanfang / "Atmosphärisches" https://3sky.de
Registrierte Zugriffe seit 11.07.2004: